Buch 4

Buch 4

Kapitel 31


Die Leitung des Ordens«»

  1. In der Absicht, die Dauerhaftigkeit und unerschüt-terliche Festigkeit der kartusianischen Lebensform zu erhalten, faßten die ersten Prioren des Ordens nach gemeinsamer Übereinkunft den Beschluß, in der Großen Kartause ein Generalkapitel abzuhalten. Diesem Kapitel vertrauten alle Prioren ihre Häuser zur Zurechtweisung und Erhaltung an und versprachen ihm für ihre Person und ihr Haus Gehorsam. So wurde das Band dauernder Liebe zwischen den Häusern und allen Mitgliedern des Ordens, die gemeinsam und freudig auf dem Weg Gottes wandeln wollen, gefestigt.
  2. Das Generalkapitel wird jedes zweite Jahr abge­halten. Zu diesem versammeln sich die Prioren, Rektoren, der Generalprokurator und die Schwesternvika­re. Ist der Obere eines Hauses verhindert, sendet er einen Mönch mit feierlicher Profeß. Ist einem Haus der Prior genommen, kann der Reverendus Pater einen Mönch dieses Hauses mit feierlicher Profeß zur Teilnahme am Generalkapitel einladen. Diese haben beim Kapitel alle dieselben Rechte und Pflichten wie die Prioren.
  3. Die Versammlung, die sich aus jenen zusammensetzt, die die Rechte eines Priors haben, und den anderen Mönchen, die etwa zu den Definitoren zählen, nennen wir Vollversammlung. Ihr Vorsitzender ist der Reverendus Pater. Sie besitzt beschließende Gewalt in allen den Orden betreffenden Fragen, soweit nicht das Definitori­um dafür zuständig ist. Die Vollversammlung stimmt auch beratend über alle Fragen ab, die die Definitoren ihr vorlegen, wobei sie selbst in diesem Fall nicht mit ab­stimmen.
  4. Das Definitorium, dem der Reverendus Pater vor­steht, wird gebildet aus dem Reverendus Pater und acht Definitoren, die gewählt werden, wie anderswo gesagt wird. Mit Ausnahme des Reverendus Pater soll keiner Definitor sein oder dazu gewählt werden, der im vorausgegangenen Kapitel dieses Amt ausgeübt hat.
    Das Definitorium entscheidet über Personen und Häuser. Bei jedem Generalkapitel aber bitten alle Vor­gesetzten aufgrund des gemeinsamen Gehorsams, den sie ihm gelobt haben und schuldig sind, um Barmherzigkeit, damit im Definitorium über ihre Absetzung oder Bestäti­gung beraten werden kann. Nach unserer Tradition übt nämlich der Prior sein Amt aus, solange er nach dem Urteil des Definitoriums zum Wohl des Konvents dazu imstande ist.
    Ebenfalls Aufgabe des Definitoriums ist es, den Generalprokurator, der den Orden beim Apostolischen Stuhl vertritt, zu ernennen.
  5. Das Definitorium kann keine Vorschrift in die Sta­tuten einführen oder abschaffen, noch dem Orden neue liturgische Texte auferlegen. Es kann jedoch durch Verordnungen und Ermahnungen festsetzen, wie die Statu­ten auf besondere Verhältnisse anzuwenden sind; und es kann die übrigen Kapitelteilnehmer ersuchen, hierüber beratend abzustimmen.
  6. In allen anderen Fragen, die den gesamten Orden angehen, legt das Definitorium der Vollversammlung die Fragen vor, worüber diese zu beraten hat und dar­aufhin abstimmt. Das Definitorium kann auch nach Gut­dünken von der Vollversammlung erbitten, eine Frage in einer neuen Beratung zu betrachten und zum zweiten und letzten Mal darüber abzustimmen.
  7. Alle Verordungen der Vollversammlung sowie des De­finitoriums werden aufgehoben, wenn sie von der Vollversammlung des nächsten Generalkapitels nicht be­stätigt werden.
  8. Gegen keinen Punkt dieser Statuten kann ein Be­schluß gefaßt und wirksam werden, der die alte Strenge des Kartäuserordens abschwächen würde, wenn nicht der Beschluß durch zwei unmittelbar aufeinander­folgende Kapitel mit wenigstens Zwei-Drittel-Mehrheit der abgegebenen Stimmen gebilligt wird.
  9. Eine Verordnung aber, die zwar die Strenge des Or­dens nicht verletzen, jedoch unsere Observanz in einem wichtigen Punkt wesentlich verändern würde, könnte nur vorgeschrieben werden, wenn die Verordnung vom Generalkapitel mit wenigstens Zwei-Drittel-Mehrheit der abgegebenen Stimmen gebilligt und vom folgenden Kapitel mit derselben Mehrheit bestätigt würde.
  10. Beim Generalkapitel sollen der Reverendus Pater und die Mitglieder des Generalrats miteinander die neuen Verordnungen prüfen, ob sie gegen die Ordens­strenge verstoßen bzw. die Regel wesentlich verändern oder nicht. Außerdem sind sie ermächtigt, alle tatsäch­lichen oder rechtlichen Zweifel zu beseitigen, die für dieses Generalkapitel über die Auslegung dieses und des 39. Kapitels der Statuten und über die Handlungsweise in der Vollversammlung und dem Definitorium auftauchen können. Darum wohnt jedes Mitglied des Generalrats der Vollversammlung bei.
  11. Der Reverendus Pater, das ist der Prior der Großen Kartause, ist der Generalobere des ganzen Ordens. Er wird vom Konvent der Großen Kartause gewählt. Diese Wahl hat aber keine Rechtskraft, bevor sie nicht vom Kollegium der Prioren, Priorinnen und Rektoren angenom­men wird. Das geschieht, wie folgt.
  12. Nach der Wahl kommen die von den Wahlaufsehern verständigten Prioren, Priorinnen und Rektoren des Ordens in der Großen Kartause zusammen, um die Wahl an­zunehmen oder abzulehnen. Falls sie ablehnen, kann der Konvent der Großen Kartause, sofern er es will, einen neuen Wahlgang durchführen. Wenn das obengenannte Kol­legium die Wahl von neuem ablehnt oder der Konvent der Großen Kartause auf diese zweite Wahl verzichtet, ist es Sache des Kollegiums, drei andere Mönche vorzuschla­gen, aus denen der Konvent der Großen Kartause den Reverendus Pater wählt. Der so Gewählte gilt als vom Kollegium angenommen. Wer immer aber zum Reverendus Pater gewählt wird, kann dieses Amt nicht ablehnen.
  13. Der Prior der Großen Kartause soll während des Jahres die Vollmacht des Generalkapitels ausüben, sooft das Wohl des Ordens es erfordert und das nächste Generalkapitel nicht abgewartet werden kann.
    Hierfür steht dem Reverendus Pater der sogenannte Generalrat zur Seite. Er besteht aus dem Generalproku­rator und Mönchen mit feierlicher Profeß, die von der Vollversammlung gewählt wurden (vgl. 39.10). Die Mön­che, die den Generalrat bilden, verbleiben in ihren eigenen Häusern und werden vom Reverendus Pater auf die Weise um Rat gefragt, wie er es für angebracht hält. Sooft von Rechts wegen die Zustimmung des Rates erfor­derlich ist oder wenn ein Fall es verlangt, werden die Ratsmitglieder in die Große Kartause gerufen.
  14. Die Vollmacht des Reverendus Pater kann einem an­deren nur mit Zustimmung aller Definitoren und des Reverendus Pater selbst übertragen werden. Kein Mönch der Großen Kartause aber, den nicht das Generalkapitel oder der Reverendus Pater dazu bestimmt hat, darf sich irgendwie in Sachen des Ordens, einzelner Personen oder der Häuser einmischen, auch wenn er von diesen Briefe erhalten hat.
  15. Der Reverendus Pater, der als Generaloberer die Aufgabe hat, die Einheit des Ordens zu wahren, übt die ordentliche Rechtsgewalt über die Kartäuserinnen aus.
  16. Das Generalkapitel, dem der geistliche Fortschritt der Schwesternkartausen am Herzen liegt, schickt zu ihnen Mönche als Visitatoren (32.2). Es ist auch Sache des Generalkapitels oder des Reverendus Pater, für die Schwestern Patres zur Verrichtung pastoraler Dienste zu bestimmen, wie sie im 25. Kapitel der Schwe­sternstatuten beschrieben sind. Einer von ihnen, den wir Vikar nennen, ist der Obere der Mönchsgemeinschaft, die bei den Schwestern lebt, um ihnen zu dienen.
    Keiner soll Vikar werden, der nicht wenigstens fünf Jahre nach der feierlichen Profeß im Orden gelebt hat. Der Vikar wird bis zum nächsten Generalkapitel er­nannt. Seine Amtszeit kann aber verlängert werden; doch soll er dabei im selben Haus das Amt des Vikars nicht länger als zehn Jahre hintereinander ausüben.
    Die Richtlinien, die sich im 25. Kapitel der Schwesternstatuten über die Mitglieder des Vikariats finden, können ohne die vorherige Billigung des Gene­ralkapitels der Mönche nicht geändert werden.
  17. Das Definitorium bestimmt nichts über den Visita­tor und die Vikare der Schwestern, ehe die Priorinnen vom Reverendus Pater oder vom Definitorium selbst befragt worden sind.
  18. Beim Generalkapitel der Schwestern sind zugegen: der Reverendus Pater, der Visitator der Schwestern und die Hauptvisitatoren jeder Provinz. Sie sollen den Schwestern mit ihrem Rat beistehen. Falls eine Abstim­mung der Vollversammlung die Einheit des Ordens oder wichtige Observanzen in Gefahr brächte, könnte der Re­verendus Pater, der dieser Versammlung vorsteht, diese Abstimmung für nichtig erklären.
  19. Alle, die eine amtliche Gewalt im Orden ausüben, sollen stets den Geist und das Gesetz der Kirche als oberste Norm ansehen, nach welcher die Ordensüber­lieferungen zu verstehen sind. Die Prioren aber sollen den Untergebenen, die ihnen bereitwilligen Gehorsam schulden, auch ihrerseits ein gutes Beispiel geben, wie es sich geziemt. Daher sollen sie sich den Verordnungen des Generalkapitels und des Reverendus Pater demütig unterwerfen und diese nicht in Gegenwart anderer kriti­sieren.
    Um die Gemeinschaft unseres Ordens mit dem Heili­gen Vater so gut wie möglich zu fördern, sendet der Reverendus Pater alle sechs Jahre dem Apostolischen Stuhl über Stand und Leben des Ordens einen kurzen Überblick.

Kapitel 32


Die Visitation«»

  1. Aus großer Sorge um die Liebe und den Frieden so­wie die treue Beobachtung der Regel in den Häusern des Ordens beschloß das Generalkapitel, alle zwei Jahre in alle Häuser Visitatoren zu entsenden. Sie sollen die Sorge des Ordens um diese Häuser erkennen lassen und zur Lösung etwaiger Schwierigkeiten mit den nötigen Vollmachten ausgerüstet sein.
  2. Auf jedem Generalkapitel werden die Prioren, die man für das Amt des Visitators für geeignet hält, ernannt und in die Charta eingetragen. Sie haben die Aufgabe, mit ordentlicher Gewalt einige Häuser zu visi­tieren, die zusammen mit den Häusern dieser Visitatoren eine Provinz bilden. Ebenso ist der Visitator der Schwestern zu ernennen, der deren Häuser gemeinsam mit dem Hauptvisitator der Provinz visitieren wird.
  3. Das Haus der Großen Kartause und die Häuser der Visitatoren werden nach ordentlichem Recht von jenen visitiert, die das Generalkapitel dazu bestimmt hat. Es muß aber dabei gewährleistet sein, daß keiner den zweiten Visitator seiner Provinz oder jemanden visitiert, der erst kürzlich sein Haus visitiert hat. Auch soll man dafür sorgen, daß keiner sein Profeßhaus visitiert, der nicht wenigstens seit zehn Jahren nicht mehr dort wohnt. Sind die vom Generalkapitel bestellten Visitatoren nicht imstande, die ihnen anvertrauten Häu­ser zu visitieren, ist es Sache des Reverendus Pater, andere zu ernennen, die sogenannten Kommissare. Ebenso soll der Reverendus Pater dafür Sorge tragen, daß die nicht kanonisch errichteten Häuser so visitiert werden, wie er es für angebracht hält.
  4. Der Ablauf der Visitation wird anderswo beschrie­ben (Kap. 40). In dem Verlangen, die willkommene Zeit der Visita­tion möge sich zu einer Gnade Gottes wandeln, soll der Konvent die Visitatoren oder Kommissare, die ja mit der Vollmacht des Generalkapitels oder des Reverendus Pater ausgestattet sind, im Geist des Glaubens aufneh­men. Jeder Mönch soll ihnen beim Erfüllen ihrer Aufgabe mit hingebendem Willen Hilfe leisten. So sollen die Visitatoren und die Mönche alles unternehmen, damit unter ihnen gegenseitiges Vertrauen entsteht.
  5. Erste Aufgabe der Visitatoren ist es aber, die Mönche in brüderlicher Liebe anzunehmen und sie mit höchster Aufmerksamkeit anzuhören; danach bemühen sie sich darum, daß alle durch das Gute, das sie in sich tragen, dem Herrn und den Brüdern besser zu dienen vermögen.
  6. Ihre Aufgabe sollen sie nicht als Richter, sondern vielmehr als Brüder ausüben, denen die Versuchten und Betrübten ihr Herz frei und ohne Furcht vor Be­kanntmachung erschließen können; und in einer Angele­genheit von solcher Wichtigkeit sollen sie nicht eilig, sondern mit Ruhe vorgehen.
  7. Mit den Visitatoren kann sich jeder frei unter­halten und das vorbringen, was einer Entscheidung oder eines Rates bedarf – ob es sich nun um eigene Be­lange oder um den Konvent handelt. Auch kann man ihnen Etwaiges, das dem Gemeinwohl nützlich erscheint, in der Gesinnung des Auferbauens vorschlagen.
  8. Bevor wir über einen anderen Mönch sprechen, sol­len wir das Herz vor Gott sammeln. Wir werden die Wahrheit in der Liebe nämlich um so besser zu tun ver­mögen, je gelehriger sich unser Geist dem Heiligen Geist gegenüber erweist. Wer im Frieden wohl beheimatet ist, stellt über niemanden Verdächtigungen an. Oft wird es besser sein zu schweigen, als sich aufzuhalten bei Gesprächen über Dinge, die sich nicht beweisen lassen, bei Gesprächen über Kleinigkeiten oder auch über die Fehler derer, die sich bereits auf dem Weg der Besserung befinden.
  9. Die Visitatoren sollen nicht nur mit jedem Mönch einzeln sprechen, sondern auch mit dem Konvent. selber zusammentreffen, wie es bei der ersten und letz­ten Sitzung der Visitation geschieht.
    Damit die Visitation mit der Hilfe des Herrn blei­bende Früchte trägt, mögen sie all ihren Fleiß aufwen­den, daß der Konvent die geistliche Erneuerung selber gleichsam als seine eigene Angelegenheit übernimmt.
  10. Die Visitatoren sollen darauf sehen, in welchem Zustand sich der Konvent befindet, ob er seit der vorhergehenden Visitation Fortschritte gemacht hat und welche Schwierigkeiten aufgetreten sind. Sie sollen die Gemeinschaft auffordern, mit ihnen zu erforschen, ob Geist und Buchstabe der Regelbefolgung, wie in den Statuten dargelegt, treu eingehalten werden. Sie sollen auch die Abrechnungen des Hauses prüfen und erwägen, wie die Armut nach dem Evangelium bewahrt wird. Gegen Auswüchse, die sie unter Umständen vorfinden, sollen sie geeignete Hilfsmittel angeben. Zusammen mit den Mönchen, allen voran mit dem Prior, sollen sie sorgfäl­tig erforschen, durch welche Maßnahmen dem Konvent ge­holfen werden kann, seiner Berufung treuer zu entspre­chen.
  11. Bevor sie abreisen, sollen die Visitatoren die von ihnen gegebenen Richtlinien und ihre Entscheidun­gen in der Charta niederschreiben und diese in einfa­chen und den Empfängern angepaßten Worten verfassen. Es sei ihre Sorge, daß der Konvent in ununterbrochenem Lauf den Weg zu Gott wandle. Daher soll, falls es notwendig ist, an Punkte, die schon in der Charta der vor­hergehenden Visitation angegeben wurden, erinnert wer­den.
    Oft wird es vorteilhaft sein, daß sie den Prior über die Entscheidungen, die sie zu treffen beabsichti­gen, zuerst noch unterrichten und seine Beobachtungen vernehmen. Denn die Visitatoren müssen seine Absichten als Hirt der Gemeinschaft kennen, nach denen der Prior die Mönche leitet, damit sie diese wirksamer unterstüt­zen können.
  12. Sie sollen sich bemühen, keinen zurechtzuweisen oder über ihn zu entscheiden, ohne ihn vorher an­gehört zu haben. Wenn sie meinen, irgendeinem eine Er­mahnung erteilen zu sollen, mögen sie ihm die Sache mündlich erklären, so daß ihre Absicht gut verstanden wird. Schließlich sollen sie vom Haus nicht scheiden, ohne sich vorher vergewissert zu haben, daß der Konvent die Absichten und Vorschriften der Charta recht ver­standen hat.
  13. Diejenigen, die von den Visitatoren ermahnt worden sind, sollen nicht versuchen, ausfindig zu machen, wer über sie Mitteilung gemacht hat. Vielmehr sollen sie, in der Überzeugung, daß alles aus Liebe gesagt wurde, alles in Liebe und Demut annehmen. Indem sie ihre Fehler eingestehen, sollen sie sich bessern und fortan mehr Klugheit zeigen. Auch sollen sie niemals über einen, von dem sie wissen, daß er gegen sie etwas ausgesagt hat, in Wort oder Verhalten verärgert sein. Vor allem der Prior muß sich davor hüten, an jemandem in irgendeiner Weise Rache zu üben oder sich verärgert zu zeigen. Vielmehr gebe er den anderen das Beispiel der Demut und der eigenen Besserung.
  14. In einem sehr schwerwiegenden Fall können die Vi­sitatoren den Prior des Amtes entheben, nachdem sie, wenn möglich, den Reverendus Pater über diese Angelegenheit zu Rate gezogen haben. Ein Amtsträger, den sie abgesetzt haben, kann ohne die Erlaubnis des Generalkapitels oder des Reverendus Pater in seine Obe­dienz nicht wieder eingesetzt werden.
  15. Auch müssen die Visitatoren nach der Visitation Sorge tragen, daß die von ihnen gegebenen Richt­linien auch ausgeführt werden. Zu diesem Zweck besitzen sie außerhalb der Visitation in allem dieselben Voll­machten, die sie bei der Ausübung der Visitation haben, ausgenommen, daß sie keine Amtsträger absetzen können und ihre Visitationshäuser nicht aufsuchen sollen, wenn keine dringenden Gründe vorliegen.
  16. Die Visitatoren müssen sich auch darum kümmern, daß in den Häusern die Richtlinien des Generalka­pitels befolgt werden. Darüberhinaus besitzen sie die Vollmacht des Generalkapitels in allen dringenden Fällen, in denen sie den Reverendus Pater nicht um Rat fragen können.
  17. Die Visitatoren entscheiden gemeinsam. Ist jedoch einer verhindert, kann der andere allein entschei­den, nachdem er, falls es gut möglich ist, den anderen Visitator befragt hat.
  18. Weil vom Erfolg der Visitation in hohem Maß der Fortschritt der Häuser abhängt, seien die Visita­toren sorgfältig und eifrig und dabei niemals mit einer nur förmlichen und äußeren Erfüllung ihrer Aufgabe zu­frieden. Allein das Heil der Seelen vor Augen, sollen sie weder Kräfte noch Zeit schonen, damit ihre Visita­tion den Frieden und die Liebe Christi in den Herzen mehre.

Kapitel 33


Die Bekehrung des Lebens«»

  1. Je erhabener der Weg ist, der sich uns eröffnet, die wir die heilige Form unseres Lebens von unseren Vätern übernommen haben, desto leichter können wir von solcher Höhe fallen, nicht nur durch offene Über­tretungen, sondern ebenso durch die gewissermaßen na­türliche Schwerkraft der Gewohnheit. Da aber Gott den Demütigen seine Gnade schenkt, müssen wir vor allem zu ihm unsere Zuflucht nehmen und ständig im Kampf stand­halten, damit nicht jener auserwählte Weinstock ent­arte.
  2. Denn der Fortbestand unserer Lebensform hängt mehr von der Treue jedes einzelnen als von der Vermehrung der Gesetze, der Anpassung der Gewohnheiten oder auch von der rührigen Tätigkeit der Prioren ab. Es wäre ja nicht genug, wenn wir den Befehlen der Vorgesetzten gehorchten und die Statuten dem Buchstaben nach treu beobachteten, wenn wir nicht unter der Führung des Geistes verstünden, was des Geistes ist. Der Mönch, der seit Beginn seines neuen Wandels in der Einsamkeit weilt, ist seinem eigenen Urteil überlassen. Er ist kein Kind mehr, sondern ein Mann. Darum soll er kein Spiel der Wellen mehr sein, hin und her getrieben von jedem Wind, sondern prüfen, was Gott wohlgefällig ist. Das befolge er aus eigenem Entscheid und genieße beson­nen und weise die Freiheit der Kinder Gottes, über die er sich vor dem Herrn verantworten muß. Doch halte sich keiner selbst für klug. Denn wer es unterläßt, sein Herz einem weisen Führer zu erschließen, bei dem ist zu befürchten, daß er die rechte Unterscheidung vergißt und entweder weniger ausschreitet, als notwendig ist, oder im Lauf ermattet, oder in einer Ruhepause ein­schläft.
  3. Wie können wir also als lebendiges Opfer, das Gott gefällt, unseren Dienst am Volk Gottes erfüllen, wenn wir uns vom Sohne Gottes, der das Leben und zu­gleich die vollkommenste Opfergabe ist, trennen lassen durch ein laues und unabgetötetes Leben, durch Umher­schweifen der Gedanken und leere Geschwätzigkeit und durch eitle Sorgen und Beschäftigungen, oder wenn der Mönch in seiner Zelle aus Eigenliebe von kläglicher Sorge gefangen gehalten wird ?
    Versuchen wir also nach Kräften in Einfalt des Herzens und Keuschheit des Geistes, unsere Gedanken und Empfindungen in Gott zu verankern. Jeder vergesse sich selbst und was hinter ihm liegt und strebe nach dem vorgesteckten Ziel: dem Siegespreis der himmlischen Be­rufung Gottes in Christus Jesus.
  4. Wer aber seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, wie kann der Gott lieben, den er nicht sieht? Weil das brüderliche Gespräch nur durch die gegenseitige Achtung der Person ermöglicht wird, ziemt es sich gewiß gerade für uns, die wir im Hause Gottes wohnen, für die Liebe, die aus Gott stammt, Zeugnis abzulegen, indem wir die Brüder, die in Gemeinschaft mit uns leben, lie­bevoll annehmen und uns bemühen, ihre Naturanlagen und Charaktere mit Herz und Verstand liebzugewinnen, wenn sie auch von den unsrigen noch so verschieden sind. Denn Feindschaften, Streit und dergleichen gehen mei­stens aus der Geringschätzung der anderen hervor.
  5. Meiden wir alles, was das Gut des Friedens gefähr­den könnte; vor allem reden wir nicht schlecht über unseren Bruder! Entsteht im Haus unter den Mönchen oder zwischen diesen und dem Prior eine Meinungsver­schiedenheit, prüfe man mit Geduld und Demut alles, wo­durch der Fall in Liebe gelöst werden könnte, bevor man es den Visitatoren, dem Reverendus Pater oder dem Gene­ralkapitel berichtet. Denn es ist besser, wenn die Konventsfamilie selbst in gemeinsamer Anstrengung und Übereinstimmung den Frieden bewahrt. In einem solchen Fall soll sich der Prior nicht als Herr, sondern als Bruder zeigen. Und wenn die Schuld bei ihm liegt, soll er sie eingestehen und sich bessern.
  6. Auf die Prioren kommt es in erster Linie an, ob in den Häusern des Ordens ein guter oder schlechter Geist herrscht. Daher seien sie bestrebt, durch ihr Vorbild den anderen zu nützen und sollen zuerst selbst verwirklichen, worüber sie andere belehren. Auch sollen sie sich nicht anmaßen, etwas zu sagen, das nicht Chri­stus selbst durch sie hätte reden wollen. Dem Gebet, dem Schweigen und der Zellenruhe hingegeben, sollen sie sich das Vertrauen ihrer Untergebenen verdienen und echte Liebesgemeinschaft mit ihnen pflegen. Gütig und mit Eifer sollen sie darauf sehen, wie die Mönche in der Zelle leben und in welcher inneren Verfassung sie sich befinden, um ihren Versuchungen im Anfang wehren zu können. Sind diese nämlich einmal stark geworden, könnte das Heilmittel zu spät kommen.
  7. Endlich müssen wir heute ganz besonders auf der Hut sein, uns nicht dieser Welt anzugleichen. Denn es verträgt sich ganz und gar nicht mit unserem Stand, wenn wir die Annehmlichkeiten des Lebens zu sehr suchen und zu willig ergreifen, zumal da die eine Neuerung eine weitere herbeiruft. Die göttliche Vorsehung hat uns die Mittel nicht verliehen, damit wir nach den Lockungen des Lebens trachten. Denn leicht ist der Weg zu Gott, da man sich auf ihm nicht belasten, sondern der Lasten entledigen soll. Wir wollen uns also so weit entäußern, bis wir, nachdem wir alles verlassen haben, des Wandels unserer ersten Väter teilhaft werden, indem wir uns selbst verleugnen.

Kapitel 34


Die Aufgabe des Ordens in der Kirche«»

  1. Welchen Gewinn und göttlichen Genuß die Einsamkeit und das Schweigen der Einöde denen bereiten, die sie lieben, wissen nur, die es erfahren haben. Diesen besten Teil haben wir jedoch nicht nur zu unserem eige­nen Nutzen erwählt. Mit der Wahl des verborgenen Lebens verlassen wir ja die Menschheitsfamilie nicht. Indem wir nur für Gott da sind, erfüllen wir vielmehr eine Aufgabe in der Kirche, in der das Sichtbare auf das Un­sichtbare, die Tätigkeit auf die Beschauung hingeordnet ist.
  2. Wenn wir daher wirklich Gott anhangen, verschlie­ßen wir uns nicht in uns selbst. Im Gegenteil: Un­ser Geist wird offen und unser Herz wird so weit, daß es das ganze Weltall und das Heilsmysterium Christi zu umfassen vermag. Getrennt von allen, sind wir eins mit allen, damit wir stellvertretend für alle vor dem le­bendigen Gott stehen. Dieses Streben richtet sich, so­weit es unsere menschliche Natur zuläßt, unmittelbar und ununterbrochen auf Gott. Es verbindet uns aber auch in besonderer Weise mit der Seligen Jungfrau Maria, die wir die einzigartige Mutter der Kartäuser zu nennen pflegen.
  3. Durch unsere Profeß streben wir einzig nach Dem, der ist. Dadurch geben wir der Welt, die sich zu sehr in die irdischen Dinge verstrickt, Zeugnis, daß es außer Ihm keinen Gott gibt. Unser Leben macht ferner offenkundig, daß die himmlischen Güter schon in dieser Welt gegenwärtig sind; es kündet die Auferstehung an und nimmt in gewisser Weise die Erneuerung der Welt voraus.
  4. Durch die Buße endlich nehmen wir am Erlösungswerk Christi teil, der vornehmlich durch sein Gebet zum Vater und durch sein Selbstopfer das in den Fesseln der Schuld darniederliegende Menschengeschlecht befreite. In unserem Bemühen, diesem tiefsten Gesetz des Erlöser­amtes Christi zu entsprechen, üben wir somit auch ohne Tätigkeit das Apostolat in hervorragender Weise aus.
  5. Zum Lobe Gottes also, wofür der Orden der Kartäu­sereremiten in besonderer Weise gegründet wurde, wollen wir, der Zellenruhe hingegeben und der Arbeit nachgehend, Ihm unaufhörliche Huldigung darbringen. So seien wir, in der Wahrheit geheiligt, jene wahren An­beter, die der Vater sucht.

Kapitel 35


Die Statuten als solche«»

  1. Wir wollen auf die Lehre unserer Väter, die in diesen Statuten erneuert und unseren Verhältnissen angepaßt wurde, lauschen und beständig über sie nach­sinnen. Lassen wir nicht von ihr, und sie wird uns be­hüten. Lieben wir sie, und sie wird uns beschützen. Denn sie ist Vorbild und Gnadenmittel der von Gott für einen jeden von uns vorherbestimmten Heiligkeit. Aber der Geist ist es, der lebendig macht und uns nicht mit dem Buchstaben zufrieden sein läßt. Diese Statuten ver­folgen nämlich das eine Ziel, daß wir unter der Führung des Evangeliums auf dem Weg Gottes weiter voranschrei­ten und die Weite der Liebe kennenlernen.
  2. Daher darf weder der Reverendus Pater noch irgend­ein anderer bezüglich der Bräuche, die in den Sta­tuten niedergelegt sind, oder dessen, was zum göttli­chen Offizium gehört, etwas wegnehmen oder hinzufügen ohne Beschluß des Generalkapitels; darüberhinaus können die Konstitutionen oder die Bücher 1 bis 4 dieser Sta­tuten nur mit Einverständnis des Heiligen Stuhls geän­dert werden.
    Bei auftauchenden Zweifeln aber kann man das Gene­ralkapitel oder den Reverendus Pater zu Rate ziehen; man muß dies sogar tun, wenn die Zweifel eine Antwort verlangen. Wird eine Antwort erteilt, die ja zur Auf­rechterhaltung der Regelbefolgung dienen soll, müssen alle Folge leisten. Die letzte und authentische Ausle­gung der Konstitutionen steht dem Heiligen Stuhl zu.
    Ferner darf keine Ausgabe der Statuten oder der liturgischen Bücher des Ordens, gleich in welcher Spra­che, erscheinen ohne Erlaubnis und Billigung des Gene­ralkapitels oder des Reverendus Pater.
  3. Was in den Statuten aber nicht ausdrücklich er­wähnt ist, soll der Prior nach seinem Ermessen an­ ordnen; natürlich dürfen seine Anordnungen nicht den Statuten widersprechen. Doch wünschen wir nicht, daß die Prioren bei dieser oder einer anderen Gelegenheit ehrwürdige und fromme Hausbräuche leichthin abändern. Solche Bräuche jedoch dürfen sich niemals gegen die Statuten behaupten.
  4. Und damit die Statuten nicht aus unserem Herzen entschwinden, lese man sie jährlich den versammel­ten Mönchen vor. Wird im Verlauf der Statutenlesung ein Punkt berührt, dessen Beobachtung zu wünschen übrig­läßt, so überlege jeder gewissenhaft, wie man diesen Mißstand beheben kann und soll. Trägt der Prior die Schuld, so verfahre man, wie man im allgemeinen bei der Ermahnung des Priors vorzugehen hat. Der Vikar oder ein anderer älterer und besonnener Mönch des Hauses kann und soll dann den Prior insgeheim und ehrerbietig zur Besserung mahnen. Doch trifft die Schuld andere, melde man sie dem Prior, damit dieser sie zur Besserung an­halte. Erfolgt auch jetzt keine Besserung und die Sache ist von Bedeutung, so müssen die Visitatoren oder nöti­genfalls der Reverendus Pater oder das Generalkapitel einschreiten.
  5. Der Herr sagt: Wenn dein Bruder sündigt, dann geh zu ihm und weise ihn unter vier Augen zurecht. Das verlangt jedoch sehr große Demut und Klugheit und scha­det sicherlich, wenn die Zurechtweisung nicht aus rei­ner Liebe geschieht, die nicht das Ihre sucht. Umge­kehrt sollen auch wir in demütiger Gesinnung wünschen, getadelt zu werden. Gleichwohl soll man gewöhnlich die Ermahnungen dem Prior, Vikar oder Prokurator anvertrau­en, damit diese sie nach ihrem Gewissen und ihrer Ein­sicht dem Mitbruder vertraulich mitteilen.
  6. Es ist die Aufgabe des Priors, dafür zu sorgen, daß die Statuten im Haus treu beobachtet werden.
    Ihr Mark durchdringe seine Seele, damit er in jeder Lage den Geist der Regel immer treu zu bewahren weiß, indem er sich bewußt ist, zum Diener dieser Statuten bestellt zu sein – nicht zum Schaden, sondern zum Nut­zen seiner Brüder.
  7. Die Mönche aber sollen den Statuten den entspre­chenden Gehorsam leisten, nicht aus Augendienerei, um Menschen zu gefallen, sondern in Einfalt des Herzens und in der Furcht Gottes. Sie sollen auch wohl beherzi­gen, daß ohne rechtmäßigen Grund eine Erlaubnis nichtig ist. Die Lehren und Ermahnungen ihrer älteren Mitbrü­der, zumal des Priors, der Gottes Stelle vertritt, sol­len sie mit aller Sanftmut anhören und ausführen. Und fehlen sie zuweilen aus menschlicher Schwachheit, sol­len sie sich nicht hartnäckig weigern, sich zu bessern, um nicht dem Teufel Raum zu geben. Sie sollen vielmehr durch die Mühe des Gehorsams zu Dem zurückkehren, dem der Mensch durch die Trägheit des Ungehorsams entlaufen ist.
  8. Angesichts all der Wohltaten, die der Herr denen bereitet hat, die er in die Einsamkeit berief, wollen wir uns mit unserem heiligen Vater Bruno freuen, daß wir den stillen, verborgenen Hafen erreicht haben, wo an uns die Einladung ergeht, teilweise die unver­gleichliche Schönheit des höchsten Gutes zu kosten. Freuen wir uns daher über unser beseligendes Los und über das freigebige Walten der göttlichen Gnade in uns, und danken wir immerdar Gott dem Vater, der uns würdig gemacht hat, Anteil zu haben am Los der Heiligen, die im Licht sind. Amen.